22.10.2013

wer nicht wagt, der nicht gewinnt. daniel kehlmanns "F"

vor kurzem durfte man noch hoffen, dass nach dem eher missglückten "Ruhm" mit "F", dem neuen roman von Daniel Kehlmann, ein würdiger nachfolger zu seinem zu recht erfolgreichen text "Die Vermessung der Welt" erscheint.
diese hoffnungen werden nun enttäuscht.

das buch liest sich wie ein potpourri aus motiven, versatzstücken, die so oder so ähnlich bereits in anderen veröffentlichungen Kehlmanns ihren platz hatten.

die geschichte dreier brüder sowie ihres vaters wird aus verschiedenen blickwinkeln geschildert und so muss man mitunter ein und dasselbe ereignis mehrmals miterleben. das trug in "Ruhm" schon weniger zur unterhaltung der leserschaft bei und auch bei "F" ist das ganze dem lesegenuss eher abträglich, sobald man die erzählstrategie erkannt hat. die drei brüder haben gemein, dass sie große täuscher sind, jeder jeweils in seinem bereich: Martin, der halbbruder der zwillinge Iwan und Eric, katholischer, übergewichtiger priester, übt seine profession noch aus, obschon er sich innerlich längst vom glauben abgewandt hat. Erics handlungsstrang spielt im umfeld von finanzspekulatoren, die ein kaltes, luxuriöses leben führen und sich daran nicht erfreuen können. Eric ist ebenfalls ein täuscher. er fälscht die bilanzen seiner firma. manche szenen erinnern an Bret Easton Ellis' "American Psycho", nur ohne drastik und spannung. Iwan, dessen geschichte eine kunstsatire im stil von "Ich und Kaminski" ist, malt bilder unter dem namen eines bereits verstorbenen künstlers. der vater der drei, der schriftsteller Arthur Friedland, begibt sich nach dem besuch einer vorstellung eines illusionskünstlers beziehungsweise hypnotiseurs ins soziale exil und konzentriert sich von dort aus auf seine schriftstellerische arbeit, was dem rest der welt bücher wie "Mein Name sei Niemand" (anklang an den "Illusionisten" Gantenbein aus Max Frischs altersroman) oder "Familie" (eine rästelhafte, magisch schaurige genealogie mit parallelen zu Gabríel Gárcia Marquez "Tausend Jahre Einsamkeit") beschert.

eine anrufung der hausgeister also.

teilweise kippt die erzählung auch ins metafiktionale, was in Kehlmanns œuvre nicht gerade ein novum ist, wenn man an die erzählung "Pyr" aus "Unter der Sonne" oder den text "Mein Porträt" denkt. versatzstücke aus "Mahlers Zeit" (insekten, zeitdehnung), "Beerholms Vorstellung" (magie, illusionskunst) und "Ruhm" (polyperspektivität, unsägliche literarisierung von SMS) finden sich zu hauf und erwecken zwangsläufig den eindruck eines aufgusses mit bekannten zutaten.

grobe mängel in der darstellung von streitgesprächen werden hingegen evident, wenn man solches lesen muss:

"Schweinvieh!", brüllte Knut.
"Dreckshund!" brüllt der Straßenkehrer.
"Scheißmaul!"
"Drecksau!"
"Sauschwein! Schwein! Schwein!"
("F", S. 213)


eine szene, in der beschimpfungen ausgetauscht werden, die so prüde und unangemessen zurückhaltend und somit lächerlich erscheinen, dass sie weniger von der unbeholfenheit der figuren als der des autors zu künden scheinen. mag der geneigte leser das doppelt vorkommende "Schwein!" mit viel gutem willen auf die szene in auerbachs keller aus Goethes Faust beziehen ("Doppelt Schwein!"), bleibt der zweck einer solchen anspielung wohl im dunkeln.

das unschöne wort selbstbespiegelung drängt sich bei der lektüre von "F" unweigerlich auf. Kehlmann täte gut daran, sich, wie in der "Vermessung", einem externen stoff zuzuwenden, anstatt seine weniger populäre prosa wiederzukäuen.

"F" bleibt somit letztlich ein text für Kehlmann-aficionados, denn für alle anderen ist dieses best-of der bisherigen veröffentlichungen des autors ein worst case.

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